Von Abhängigkeiten: Der neue Roman „Die Assistentin“ von Caroline Wahl

Der neue Roman von Caroline Wahl lässt sich wie ihre beiden vorhergehenden Romane locker lesen, ich habe dafür nur eineinhalb Tage gebraucht. Ihr Erzählstil ist direkt und auf gewisse Weise auch schonungslos und bleibt dabei aber trotzdem leicht. Die Themen des Buches: Machtspiele und Machtmissbrauch im Berufsleben, emotionale Abhängigkeitsverhältnisse, Liebe und Einsamkeit, das Klarkommen in der Gegenwart, um nur einige zu nennen.

Die Assistentin_Der neue Roman von Caroline Wahl
© Nina Lenze. Die Assistentin. Der neue Roman von Caroline Wahl

Die Grenzen verschieben sich
Charlotte ist eine junge Frau Anfang zwanzig, die in der beruflichen Findungsphase steckt und, mehr oder weniger von den Eltern gedrängt, eine Assistenzstelle in einem Münchner Verlag annimmt. Die Stelle ist dem Verleger unmittelbar unterstellt, was sich alsbald als äußerst problematisch erweist. Was anfänglich noch wie ein ehrgeiziges Streben von Charlottes Seite anmutet, entwickelt sich schnell zu einer erniedrigenden Zusammenarbeit, bei der der männliche, ausgeprägt narzisstische Verleger die Abhängigkeit der Assistentin ausnutzt. Immer mehr Grenzen werden überschritten, sowohl emotionaler als auch sexueller Art. Die Geschichte spitzt sich zu, bis es zu einem großen Knall kommt.

Spannungsgeladene Atmosphäre
Immer wieder eingestreute Vor- und Rückblicke der Autorin erzeugen eine permanente Spannungssituation, die Schlimmes erahnen lässt. Der Roman startet direkt mit „Dass das Ganze eine riesengroße Fehlentscheidung war, hat Charlotte eigentlich von Anfang an gespürt“ und nimmt auch zwischendrin mit Sätzen wie „Und ab jetzt geht’s abwärts, der Winter wird richtig schlimm“ die nahende Katastrophe beständig vorweg. Außerdem gewährt Caroline Wahl mit ihrer gelegentlichen Leseransprache („Zwischenstand. Die Dramaturgie ist irgendwie gar nicht so gut, es schleppt sich. Wann geht’s endlich ab?, wird sich der Leser fragen.“ oder „Mehr übers Privatleben schreiben“, würde vielleicht ein Lektor raten, nachdem er den bisherigen Text gelesen hätte.“) Einblick in ihre Welt des Schreibens, in der jede Geschichte im Austausch mit dem Lektorat bestehen muss.

Zuckerbrot und Peitsche
Ein Thema des Buches ist auch die Suche nach der elterlichen Bestätigung, etwa Charlottes emotionale Abhängigkeit noch im Erwachsenenalter, die selbstzerstörerische Züge hat und sich auf andere Autoritäten wie beispielsweise den Verleger überträgt. Erst gegen Ende scheint sich eine Abnabelung von den Eltern anzubahnen. Wider besseren Wissens, denn sie weiß, dass es ihr nicht guttun wird, entscheidet sie sich für die Zusammenarbeit mit dem Verleger und läuft quasi sehenden Auges in ihr Unglück. Unter dem Motto Zuckerbrot und Peitsche lässt der seine Assistentin nach seiner Nase tanzen: „Charlotte begriff in dieser Zeit auch, dass die Wahl des Verlegers zwischen Zuckerbrot und Peitsche nichts mit ihr zu tun hatte, sondern mit seiner Befindlichkeit.“ Je nach Lust und Laune stellt er vollkommen absurde Forderungen, die in erster Linie Ausdruck seiner zwanghaften Vorstellungen sind.

Anspielung auf die Buchbranche
Da Caroline Wahl selbst in verschiedenen Verlagen tätig war, zuletzt im Schweizer Verlag Diogenes, kann die Erzählung als Anspielung auf die Zustände in der Literaturszene und Buchbranche verstanden werden. Wie viele andere befindet sich die Protagonistin Charlotte in einer beruflichen Zwickmühle, da sie trotz höherer Ausbildung in diesem Bereich wenig Chancen auf dem Arbeitsmarkt hat und daher einen Job annimmt, für den sie eigentlich überqualifiziert ist.

Mein Fazit
Mich persönlich hat die Thematik der jungen Frau, die sich in einer persönlichen wie beruflichen Schräglage befindet, sehr angesprochen. Eine falsche Entscheidung, einmal falsch abgebogen, und was das alles nach sich ziehen kann. Und rückblickend dann immer wieder die Frage, was wäre, wenn? Auch die Beschreibung der Einsamkeit eines jungen Menschen, der sich mittendrin befindet und doch nicht teilnehmen kann, finde ich authentisch dargestellt. Mit ihrer Erzählung von Charlotte, die verzweifelt versucht, in der gegenwärtigen Welt klarzukommen, hat die Autorin den Nerv der Zeit ziemlich gut getroffen.
Auch der lakonische Erzählstil von Caroline Wahl, der bisweilen durch die Aneinanderreihung von Gedanken und Ereignissen rastlos anmutet, gefällt mir sehr. Einzig die Verkomplizierung mit den verschiedenen Assistentinnen und ihren Unterfunktionen scheint mir etwas umständlich und den Lesefluss beeinträchtigend. Alles in allem aber eine unterhaltsame Lektüre, die irgendwie guttut, da Schicksale, die zunächst traurig und hoffnungslos erscheinen am Ende doch eine positive Wendung nehmen und einen zuversichtlichen Blick in die Zukunft wagen.